Das grosse Finale
Zentraler Finaltag - Burgdorf 24. Juni 2023
Die Nacht vor dem Spiel
Es ist zwei Uhr in der Nacht vor dem grossen Finale. Ich sitze allein in der Eingangshalle des Schlosses Burgdorf. Unsere Spieler sind früh angereist und schlafen schon längst. Mit Philipp haben wir Roberto Menéndez Ferré (Robi) am Flughafen Zürich abgeholt und sind nach Burgdorf gefahren. Unser Physio Peter hat Robi noch kurz massiert, bevor er schlafen gegangen ist.
In Gedanken blicke ich zurück auf unseren Weg nach Burgdorf. Nach vier Siegen in Folge gegen den TC Küsnacht, den TC Vaduz, den TC Rapperswil und den LTC Winterthur spielen wir morgen gegen den TC Seeblick ZH um den Schweizer Meistertitel. Das Zürcher Team ist sehr stark und ausgeglichen besetzt. Sie sind in den letzten vier Jahren dreimal Schweizer Meister geworden. Letztes Jahr haben wir mit unserem Team im Finale äusserst knapp mit 3:4 gegen sie verloren. Wir wissen also genau, was uns morgen erwartet.
In Gedanken gehe ich alles noch einmal durch. Alles stimmt, wir sind bereit. Auch die Aufstellung habe ich bereits im Kopf. Roberto Gattiker (Roby) spielt auf Position 3, Dirk auf 4 und Stephan auf 5. Aber wen sollen wir als Nummer 1 spielen lassen, Leos Friedl N3 (70) oder Robi N3 (70)? Diese Frage beschäftigt mich schon die ganze Woche.
Doch nun entscheide ich mich für eine Aufstellung, mit der unser Gegner wohl kaum rechnet. Leos spielt auf Position 1 und Robi auf 2. Robi ist derzeit die Nummer 1 der ITF Seniors Weltrangliste und hat gegen seinen vorrausichtlichen Gegner Kresimir Ritz N4 (100) auf der Seniors Tour und letztes Jahr im Interclub immer gewonnen, teilweise deutlich. Warum sollten wir das ändern? Nein, tun wir nicht.
Jiri Lokaj N4 (85) bereitet sich nach seinem Halbfinalsieg gegen den ehemaligen tschechischen Weltklassespieler Bohdan Ulihrach (ehemals ATP 22) vom TC Vaduz bestimmt auf ein Spiel gegen Robi auf Position 1 vor. Also stellen wir ihn morgen vor eine neue und unerwartete Aufgabe und lassen Leos auf Position 1 spielen. Ich bin mir jetzt sicher, wir machen das so. Wir müssen einzig noch Robi beim Frühstück über diese kurzfristige Änderung informieren. Er wird bestimmt Verständnis für unsere taktische Massnahme haben.
Die Einzel
Pünktlich um 8.30 Uhr fahren wir auf die wunderschöne Anlage des TC Burgdorf. Wir schauen, ob unsere Gegner schon da sind. Ja, sie sind alle da und spielen in Bestbesetzung. Wahrscheinlich sogar in der besten Aufstellung, die sie je in der Kategorie Senioren 45+ hatten, mit zwei deutlich unterklassierten R3-Spielern auf den Positionen 4 und 5. Das ist schon sehr stark. Aber der Respekt ist gegenseitig. Sie kennen uns und wissen genau, dass sie ein hartes Stück Arbeit vor sich haben, wenn sie den Titel gewinnen wollen.
Und so kommt es, wie es kommen muss. Nach vier gespielten Einzeln steht es 2:2. Leos und Robi gewinnen klar, Dirk und Stephan verlieren deutlich auf 4 und 5. Unsere Hoffnungen ruhen nun auf Roberto Gattiker (Roby), unserem Auslandschweizer mit Wohnsitz in Buenos Aires (ARG). Niemand hatte ihn auf der Rechnung, den legendären Padelspieler mit Schweizer Pass (12-facher Weltmeister und lange Zeit Nummer 1 der Weltrangliste). Er spielt auch sehr gut Tennis. In jungen Jahren stand er einst auf Platz 397 der ATP-Weltrangliste im Einzel, bevor er seine Karriere als Tennisprofi beendete, um sich ganz dem Padel zu widmen. Leider verliert Roby sein Einzel äusserst unglücklich im Tiebreak des zweiten Satzes. Eine sehr strittige Entscheidung seines Gegners beim Stand von 4:5 und der folgende Matchball entscheiden die Begegnung zur vorübergehenden 3:2 Führung für das Zürcher Team. Wir liegen nach den Einzeln zurück und müssen nun beide Doppel gewinnen, um Schweizer Meister zu werden. Wir haben sehr gute Doppelspieler in unserem Team, aber wir wissen, dass es nicht einfach sein wird, beide Doppel zu gewinnen.
Die Doppel
Mit 6:0 und 6:2 gewinnen Robi und Roby in gefühlten 30 Minuten das erste Doppel. Robi setzt seine Gegner mit seiner gewaltigen Vorhand unter Druck und Roby räumt am Netz alles ab, als wäre es die einfachste Sache der Welt. Er spielt unglaublich gut Doppel. Seine Spielintelligenz gepaart mit seiner unheimlichen Antizipationsfähigkeit und Schnelligkeit beim Volley und dann noch diese unmöglichen Winkel .... Wahnsinn! Damit steht es 3:3 und wie im Vorjahr muss das zweite Doppel über den Titelgewinn entscheiden.
Acht Matchbälle
Unmittelbar nach dem Sieg im ersten Doppel, der von vielen mitfiebernden Zuschauern bejubelt wird, wechseln viele Zuschauer von Platz 1 auf die andere Seite der Anlage auf Platz 2. Dort führt unser zweites Doppel mit Leos Friedl, zu seinen besten Zeiten ATP 14 im Doppel und Wimbledonsieger im Mixed im Jahr 2001, und Rico Jacober, ehemals ATP 465 im Doppel, im ersten Satz mit einem Break Vorsprung. Wir gewinnen diesen verdient mit 6:3 und gehen erstmals in Führung gegen einen immer nervöser werdenden Gegner.
In diesem Moment macht sich unter uns Mannschaftsmitgliedern zum ersten Mal die Zuversicht breit, dass wir an diesem Tag den Meistertitel gewinnen können. Doch der zweite Satz ist hart umkämpft und die Freude über den gewonnenen ersten Satz währt nicht lange. Wir verlieren den zweiten Satz unglücklich mit 5:7 und nun muss ein Champions Tiebreak auf zehn Punkte die Entscheidung bringen.
Im Champions-Tiebreak gehen wir schnell mit beruhigenden vier Punkten Vorsprung 6:2 in Führung … Doch dann geht es weiter mit 6:3, 6:4, 6:5, 6:6 ... und das nervenaufreibende Zitterspiel nimmt seinen Lauf. 6:7 ... 6:8 ... 6:9 und drei Matchbälle für den Gegner. Ein Drama bahnt sich an. Ich kann nicht mehr hinsehen und flüchte ins Clubhaus des TC Burgdorf. Durch das Fenster sehe ich, wie Rico einen Matchball mirakulös abwehrt und seinen Volley zwischen den Gegnern hindurch zwei Zentimeter vor die Grundlinie setzt, unglaublich. Dann ein Fehler des Gegners und plötzlich steht es 9:9.
9:10 … 10:10 … die Nerven liegen blank … 11:10, der erste Championship Point für unseren TC Falkensteig SG … 11:11. Ich gehe zurück zu unserem Team. Es folgt ein dramatisches Wechselbad der Gefühle im 30-Sekunden-Takt. Bis zum 15:15 wehren Leos und Rico insgesamt acht Matchbälle ab. Beim Stand von 16:15 haben wir unseren dritten Matchball. Der erste Aufschlag von Jiri Lokaj fliegt ins Netz. Leos lässt jetzt seine ganz grosse Klasse aufblitzen, nimmt den zweiten Aufschlag eiskalt zwei Meter vor der Grundlinie ab, spielt mit seiner beidhändigen Rückhand einen harten und platzierten longline Return und stürmt ans Netz. Der Gegner spielt unter Druck einen missglückten hohen Ball. Der Ball bleibt eine gefühlte Ewigkeit in der Luft, Rico schaut ihm gebannt hinterher und lässt ihn seitlich über sich hinweg ins Aus fliegen … OUUUTT!! und COME OOON!! … schreit er in den Burgdorfer Himmel. Grenzenloser Jubel bricht bei allen anwesenden Teammitgliedern, den mitgereisten Fans und vielen Zuschauern aus.
Wir sind Schweizer Meister!!
Damit holt der TC Falkensteig SG zum ersten Mal in der langen Historie der Schweizer Tennis Interclubmeisterschaften bei den Herren einen nationalen Meistertitel in den Kanton St. Gallen und geht als Schweizer Meister in der Kategorie Senioren 45+ NLA in die Annalen von Swiss Tennis ein. Wir schreiben Geschichte.
Die Nachricht verbreitet sich in Tenniskreisen wie ein Lauffeuer. Wir erhalten zahlreiche Anrufe und WhatsApp Mitteilungen aus der ganzen Schweiz. Viele langjährige Weggefährten melden sich und freuen sich mit uns über den glücklichen, aber hochverdienten Sieg.
Ich bin seit vielen Jahren Captain unseres Teams. Wir haben in dieser Zeit sehr vieles gemeinsam erlebt, unvergessliche Siege, aber auch bittere Niederlagen. Dieser Tag wird uns immer in Erinnerung bleiben, geprägt von Emotionen, Zweifeln, dem Bangen bis zum letzten Punkt und dem riesigen Jubel am Ende des Spiels. Es war alles dabei, was den Tennissport so einzigartig macht. Und seit heute wissen wir, dass es nicht nur das legendäre “Wunder von Bern“ von 1954, sondern auch das “Wunder von Burgdorf“ gibt.
Herzlichen Dank für alles, liebe Freunde und lieber TC Falkensteig SG. Wir sind ein einzigartiges Team.
Francisco Bastias Studer, Teammanager und Captain
Im Juni 2023
Championship Point - "Das Wunder von Burgdorf"
So sehen Sieger aus
Hintere Reihe (v.l.): Francisco Bastias Studer (Captain), Radek Kovacka, Dirk Brenker, Stefan Schwarzkopf, Marek Miskolci, Stephan Bienz, Roberto Menéndez Ferré (braunes shirt)
Vordere Reihe (v.l.): Rico Jacober, Leos Friedl, Roby Gattiker